Anton von Werner. Königliche akademische Hochschule für die Bildenden Künste (Mo, 22.03.1897)
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- Verfasser: Anton von Werner (Di, 09.05.1843 - Mo, 04.01.1915) - 53 Jahre. Königliche akademische Hochschule für die Bildenden Künste, Hochschule der Künste Berlin














Typ
Rede
Datum
Kategorie
Dienstlich Akademie
Medium
Gedruckt
Zusammenfassung
Rede zur Gedächtnisfeier des 100. Geburtstages weiland Kaiser Wilhelms des Großen am 22. März 1897 in der Hochschule für die bildenden Künste
Abschrift
Klar und deutlich steht noch die Gestalt des großen Herrschers vor unserem Auge, dessen Jahrhundertfeier uns heute hier vereinigt hat. Noch nicht ein Jahrzehnt ist an uns vorübergerauscht, seit der erste Kaiser des neuen deutschen Reiches, der Patriarch unter den Fürsten Europas, von uns schied, nach redlich und wohl vollbrachtem Tagewerk. Unverwischt lebt das ehrwürdige Bild seiner persönlichen Erscheinung in unserer Erinnerung, und es ist mir, als müßten auch heute wieder, wie damals zu jeder Mittagsstunde, die Tausende und Tausende sich vor dem historischen Eckfenster versammeln und wieder dem milden, hoheitsvollen, freundlichen Greisenantlitz zujauchzen! Als der Kaiser heute vor 10 Jahren sein neunzigstes Geburtsfest feierte, konnte sein Leibarzt Dr. Lauer mit Ueberzeugung sagen: „O, Seine Majestät kann 100 Jahre alt werden!" Und so dachten Hunderte und Tausende, denn es schien, als ob Natur und Vorsehung ein Wunder schaffen wollten an diesem lange ersehnten Helden und Führer des deutschen Volkes, welcher stets unversehrt aus seinen Feldzügen heimgekehrt war, und welcher, nachdem ihn der heimtückische, meuchelmörderische Schuß Nobilings im 81. Lebensjahre getroffen hatte, nach seiner Heilung sagen konnte: „Dieser kleine Aderlaß hat mir ganz wohl gethan." Unsere Gedanken, Hoffnungen und Wünsche für den Kaiser wandten sich vor 10 Jahren seinen kommenden Tagen zu. Heute halten wir Rückschau auf ein Jahrhundert, welches der Vergangenheit angehört; wir blicken zurück auf seine heiteren und seine trüben Tage, auf seine Kämpfe und Errungenschaften, und wir gestehen uns, daß die größere Hälfte desselben weitaus mehr Dunkelheit als Sonnenschein gewesen ist. Preußen hatte auch im vorigen Jahrhundert einen Monarchen, welchen seine Zeitgenossen schon den Einzigen nannten, und welchen wir schlechthin den großen König nennen. Aber seinen 100. Geburtstag am 24. Januar 1812 feierten wir durch den am 24. Februar desselben Jahres abgeschlossenen sogenannten Bundesvertrag mit Frankreich, welchen ein bekanntes Geschichtswerk den schmachvollsten Vertrag nennt, den ein Hohenzoller je zu unterzeichnen gezwungen war! Des großen Friedrichs Preußen im Vasallendienst und in der Heeresfolge Napoleons gegen Rußland marschierend, die Rheinbundstruppen, Nassauer, Hessen und Badenser für Napoleon in Spanien kämpfend, und kurze Zeit vorher Bayern und Württemberger als Feinde in preußischen Landen — ja, meine Herren, das ist ein Bild, welches dem Nüchternsten und Ruhigsten das Blut in Wallung bringen muß, welches aber die Prätensionen des dritten Napoleons vom Jahre 1871 erklärlich erscheinen läßt. Es ist gut, wenn wir uns an einem Jubeltage, wie dem heurigen, jener Zeit und ihrer Schmach erinnern, welche Kaiser Wilhelms erste Jugendeindrücke gewesen sind. Auch der nationale Aufschwung der Befreiungskriege erlosch bald unter dem dumpfen Drucke der folgenden Jahrzehnte, und die Blätter preußischer und deutscher Geschichte jener Zeit erscheinen mit Trauerrand. Erst als vor nunmehr 40 Jahren der Prinz von Preußen als Prinzregent an die Spitze des preußischen Staates trat, da begann die Zeit, welche, als neue Aera mit Jubel begrüßt, berufen war, alles gut zu machen, was seit 1815 gegen Deutschland und Deutschtum gesündigt worden war, und das Sehnen und Hoffen des deutschen Volkes zu stillen; die Zeit, welche ihren Abschluß am 18. Januar 1871 im Königsschlosse zu Versailles gefunden hat. Die Schaffung des deutschen Reiches ist das Weltereignis des 19. Jahrhunderts, die Verkörperung desselben unser Heldenkaiser Wilhelm, der Gerechte, der Siegreiche, der Gütige, der Weise — kein Beinamen wird sein eigenstes Wesen ganz erschöpfen! Die Ereignisse der letzten 30 Jahre liegen uns noch so nahe, wir leben und atmen so unter den Ereignissen dieser Jahre, daß es müßige Arbeit wäre, vor Ihnen ein Bild der selben entrollen zu wollen. Diese Epoche wird in der Geschichte das Zeitalter Kaiser Wilhelms heißen, denn Er und die Männer, welche mit ihm geschaffen haben am deutschen Einigungswerke, haben demselben ihren Stempel aufgedrückt, und die Gestalt Kaiser Wilhelms ragt riesengroß aus dieser Zeit empor als eine Heldengestalt von solcher Größe und Erhabenheit in ihrer schlichten Einfachheit, wie die Weltgeschichte nur wenige zu verzeichnen hat. Kaiser Wilhelms Größe beruht nicht darin, daß er einem großen Dämonen der Weltgeschichte, einem Alexander, Caesar oder Napoleon ähnelt, trotz all seiner Siege, sondern vielmehr darin, daß er, noch mit allen Fasern seines Wesens einer alten Zeit angehörend, trotzdem der erste wirklich große Monarch einer neuen Welt- und Zeitanschauung geworden ist. Des jetzt regierenden Kaisers Majestät hat vor kurzem in schwungvoller, glänzender Rede das Bild Seines erhabenen Großvaters in poetischer Verklärung vor uns erstehen lassen. Er ist der beredteste Dolmetscher all der Gefühle von Liebe, Bewunderung, Verehrung und Dankbarkeit gewesen, welche das deutsche Volk dem Schöpfer des neuen deutschen Reiches, dem Feldherrn, Staatsmann und Herrscher entgegenbringt. Und wie Seine Majestät ein Bild aus dem Mittelalter gewählt hat (im Mittelalter, so sagte er, würde man den Kaiser wie einen Heiligen verehrt haben), um vor allem die hohen Tugenden und die großen Eigenschaften des hohen Herrn zu preisen, so dürfen wir wohl sagen: je klarer und heller seine Gestalt, seine Persönlichkeit von der historischen Forschung beleuchtet wird, um so mehr wird dieselbe wachsen und jenes Bild im modernen Sinne verwirklichen. Die Weltgeschichte ist nur die Lebensgeschichte großer Männer, und des heutigen Gedenktages höchste Weihe wird es sein, zur Anschauung zu bringen, nicht nur, was Kaiser Wilhelm als Held und Herrscher Großes vollbracht hat, sondern was er gewesen ist als Mensch unter den Menschen. Wir bewundern den nie besiegten Kriegshelden, aber wir begeistern uns an den Tugenden eines vollkommenen Menschen, denn wir lernen von ihm und streben ihm nach. Wir staunen das Genie an, aber unser Herz und Gemüt wird genährt im Anblick des nach Vollkommenheit ringenden Menschen, welcher fühlt und strebt, wie wir selbst. Und so sind uns zur Abrundung des Lebensbildes eines großen Mannes alle, auch die kleinsten Züge hochwillkommen, welche geeignet find, dasselbe zu vervollständigen. Welchen wunderbaren und erhebenden Einblick in die schlichte, wahrhaft große Seele und vornehme Denkungsart unseres Heldenkaisers gewähren uns nicht die Briefe desselben, welche als höchste Feier des heutigen Tages auf kaiserlichen Befehl veröffentlicht sind, vor allen die, welche derselbe in jenen gewitterschwülen Julitagen von 1870 vor Ausbruch des deutsch-französischen Krieges an Seine hohe Gemahlin gerichtet hat, und welche auf die politischen Ereignisse von damals sowohl, wie auf Ihn selbst das blendende Licht unmittelbarster Wahrheit werfen. Mit welcher Schärfe und Klarheit tritt uns seine schlichte, große Persönlichkeit aus diesen Briefen entgegen, gegenüber der Anmaßung und Verlogenheit seiner Gegner; und wie machtvoll und demutsvoll zugleich klingt es. nachdem die blutigen Würfel des männermordenden Krieges gefallen sind, aus allen schriftlichen Aeußerungen des Kaisers und selbst nach erfochtenen Siegen: „Ich habe es nicht gewollt, hier stehe ich. ich kann nicht anders! Gott helfe mir. Amen!" — Diese Briefe sind die Selbstbiographie des großen Monarchen und die Geschichte seiner Zeit, wie sie der größte Geschichtsschreiber nicht kürzer und umfassender schreiben könnte, ein unbeabsichtigt abgelegtes Zeugnis von Edelmut, schlichter Menschenwürde und nationalem Selbstbewußtsein, welchem vielleicht nur Friedrich des Großen Schreiben vom 10. Januar 1757 an die Seite zu stellen ist, von welchem Kaiser Wilhelm selbst einst schrieb: „Dies erhebende Dokument giebt einen Beweis wie kein anderes, welch edle und große Seele in dem unvergeßlichen König lebte, der, an die Möglichkeit denkend, in feindliche Gefangenschaft zu geraten, befiehlt, in einem solchen Falle nichts für ihn zu thun, sondern den Krieg zu betreiben, als habe Er nie in der Welt existiert." Diese vom Kaiser niedergeschriebenen Worte find zweifellos als der Ausdruck dessen zu nehmen, was er von sich selbst dachte und was er zur Richtschnur für seine ganze große Lebensarbeit gemacht hat. Inmitten aller Erfolge und selbst als das mörderische Geschoß ihn getroffen, hat er nicht an sich selbst gedacht, sondern zuerst an seine Pflicht gegen sein Volk und gegen seine Menschenbrüder. Wie menschlich und ergreifend lautet es, wenn er nach den blutigen Schlachten vor Metz und nach dem Besuche der Schlachtfelder und Lazarette von den Opfern des mörderischen Kampfes schreibt: „Ach, all die lieben Bekannten! Röder. Eckart, Finkenstein, Auerswald. Reuß, Kleist! Es ist zu, zu schmerzlich!" Man fühlt es, sie alle stehen seinem Herzen nahe, und er vergißt, daß es ihr Beruf als Soldat war, fürs Vaterland zu sterben. Und wie charakterisiert der große Kanzler seinen Herrn und Kaiser, welchen er vor allem bis ins innerste Mark kannte: „Niemals hat ein Mensch gelebt, dessen Charakter bescheidener, edler, menschlicher war, als der des Kaisers. Er unterscheidet sich durchaus von anderen Menschen, welche in so hoher Stellung geboren find, oder wenigstens von sehr vielen unter ihnen. Der Kaiser ist Mensch in allen Stücken. Niemals in seinem Leben hat er einem Menschen unrecht gethan, niemals die Empfindungen eines anderen verletzt, niemals einen anderen hart behandelt. Er ist einer von den Menschen, deren Güte die Herzen gewinnt, er ist unablässig mit dem Glück und dem Wohlergehen seiner Unterthanen und seiner Umgebung beschäftigt. Es ist gar nicht möglich, sich das Abbild eines Edelmannes zu denken, das schöner, edler, liebenswerter und wohlthätiger wäre, geschmückt mit allen hohen Eigenschaften eines Fürsten und allen Tugenden eines Menschen." Ob nach Worten aus so hohem Munde persönliche Erinnerungen in den Rahmen dieser Festrede paffen, dürfte fraglich sein. Aber ich denke, daß am heutigen Tage jeder, der das Glück gehabt hat, mit dem hohen Herrn in persönliche Berührung zu kommen, davon reden darf, und ich bin überzeugt, daß es Sie interessieren wird, wie hervorragende Charaktereigenschaften des hochseligen Kaisers „seine Bescheidenheit, seine neidlose Anerkennung fremder Verdienste und die fürstliche Umsicht, welche jedem bereitwillig die gebührende Ehre zu erweisen sucht" (G. Freitag), auch in seiner Stellung zur bildenden Kunst prägnanten Ausdruck finden. Und so will ich Ihnen einiges aus der für mich unvergeßlichen Zeit erzählen, in welcher ich das Glück gehabt habe, in künstlerischen Angelegenheiten mit dem hochseligen Kaiser in persönliche Berührung zu kommen. Die erste Veranlassung war die Ausführung des Mosaikfrieses für das Siegesdenkmal, mit welcher ich 1872 betraut wurde. Die vom Kaiser gestellte Aufgabe lautete: „Die Rückwirkung des Kampfes gegen Frankreich auf die Einigung Deutschlands und die Schaffung des Deutschen Kaiserreichs." An meiner ersten Skizze beanstandete der hohe Herr vor allem, daß Er selbst und Kaiser Napoleon auf derselben dar gestellt waren. Ich mußte von der Darstellung beider historischen Persönlichkeiten Abstand nehmen und half mir, wie bekannt, damit, daß ich an Stelle des Kaisers eine allegorische weibliche Gestalt setzte, deren Bedeutung mit Recht angefochten wird. Ich setzte die Inschrift darunter: „Loco Imperatoris.“ Statt des Kaisers Napoleon III. wählte ich eine das Cäsarentum verkörpernde Erscheinung. Nachdem das Bild zur Enthüllung der Siegessäule am 2. September 1373 daselbst angebracht war, unterzog der Kaiser dasselbe (nach Photographien, welche inzwischen von demselben hergestellt waren), ehe ich es für die Mosaikausführungen übermalte, einer eingehenden Kritik, welche er in Marginal-Bemerkungen meinem Bericht zufügte. Es ist rührend, aus denselben zu lesen, wie der hohe Herr, der jede Verherrlichung seiner Person auf dem Bilde untersagt hatte, vorwiegend nur darauf bedacht ist, jedem anderen die ihm gebührende Ehre zu erweisen. So moniert er z. B. an der Haltung des Prinzen Friedrich Karl: „Der Prinz Friedrich Karl ist die hervorragendste Figur auf dem ganzen Bilde, was gegen den Kronprinzen als unpassend erscheint. Dem nächst darf der besonnene Feldmarschall nicht als Husarenlieutenant dargestellt werden, des Prinzen Haltung kann bleiben als Lenker der Schlacht durch den FeldmarschallStab dargestellt." Dann weiter: „Hier find zwei Bayersche Corps-Generäle porträtiert, während nicht ein Preußischer kommandierender Armee-Befehlshaber porträtiert ist auf dem ganzen Bilde. Feldmarschall Manteuffel, der zwei verschiedene Armeen in Nord und Süd befehligte und zum Siege führte, muß irgendwo porträtiert erscheinen." „Der Großherzog von Mecklenburg war Vorgesetzter des Generals v. d. Thann, muß also mehr wie dieser hervor treten. Feldmarschall Graf Roon muß Heller beleuchtet sein. Der Kronprinz von Sachsen muß mehr hervortreten." Ueberall tritt hier das Bestreben hervor, jedem der Heerführer nach seiner Stellung und militärischen Bedeutung auch in der bildlichen Darstellung gerecht zu werden. Solche Forderungen werden oft als ein Hemmschuh für die Phantasie des Künstlers betrachtet. Ich teile diese Ansicht nicht, wenngleich es durchschnittlich zehnmal bequemer ist, der künstlerischen Phantasie zu folgen, als solche berechtigten Forderungen künstlerisch zu verarbeiten. Wie im politischen Leben, so war der Kaiser auch in seinen künstlerischen Anschauungen durchaus Realist, was aus einer späteren, in meinem Besitz befindlichen handschriftlichen Aeußerung deutlich hervorgeht, welche lautet: „Die Auffassung der Kaiser-Proklamation (dies bezieht sich auf die auf dem Siegesdenkmalsfries befindliche halb allegorische Darstellung derselben) ist ganz meiner Angabe gemäß. Wenn nicht alles Allegorie ist, so muß die Arm- und Beinbekleidung als Rüstung fortfallen — müssen dagegen die jetzigen Kürasse, die hohen Stulp-Handschuhe und hohe Reiterstiefel gewählt werden. Dies alles hat auch auf den Kronprinz Anwendung." Außerdem beanstandete der hohe Herr aus militärischen Gründen noch das dunkle Pferd des Prinzen Friedrich Karl und wünschte statt dessen einen Schimmel. Ich muß gestehen, daß es mir von meinem künstlerischen Standpunkte aus nicht leicht erschien, den Allerhöchsten Wünschen im vollen Umfange nachzukommen, und ich versuchte, durch eine eingehende Erläuterung des Bildes meinen Standpunkt zu verteidigen. Die Folge davon war, daß Seine Majestät unsere Meinungsverschiedenheiten, „Differenzen", wie er sich ausdrückte, durch persönlichen Meinungsaustausch zu begleichen wünschte und demgemäß eines Tages im März 1874 im langen Saal der Akademie erschien, wo das Bild aufgestellt war. Die überwältigende Liebenswürdigkeit und hoheitsvolle Anmut, welche der hohe Herr bei dieser Gelegenheit entfaltete, ist schwer zu schildern; sie wird am besten illustriert durch die Schlußworte eines Handschreibens des Kaisers an mich in einer anderen künstlerischen Angelegenheit aus dem Jahre 1887, welche lauten: „Pardon für diesen Vorschlag." Bezüglich des Siegesdenkmalsfrieses erläuterte der Kaiser eingehend seine Monita, nahm meine Gegen-Bemerkungen geduldig hin und sagte schließlich: „Ich habe die Sache von meinem militärischen Standpunkte aus betrachtet, der künstlerische, das ist Ihre Sache, das müssen Sie besser wissen als ich." Das Ergebnis dieses mir unvergeßlichen Meinungsaustausches war, daß das gesamte Bild blieb, wie es war, und nur der Feldmarschall v. Manteuffel und der General v. Werder als Armee-Befehlshaber noch der Komposition eingefügt wurden. Hier darf ich auch wohl eine Aeußerung des Kaisers mitteilen, welche einer jener Legenden ein Ende macht, welche, man weiß nicht wie, entstehen, welche geglaubt, beschrieben und gemalt werden. Im Jahre 1877 war ich von dem hochseligen Herrn befohlen worden, ihm in der akademischen Kunst- Ausstellung als Führer zu dienen. Beim Anblick des Bildes von Professor G. Bleibtreu, welches den König am Abend von Gravelotte darstellt, wie er, auf einer über einen toten Schimmel und eine Wage gelegten Leiter sitzend, die angebliche Meldung des Generals v. Moltke empfängt: „Ew. Majestät, wir haben gesiegt." äußerte der hohe Herr: „Merkwürdig, was die Leute von mir wollen. Mir ist absolut nicht er innerlich, daß ich auf oder neben einem toten Schimmel auf einer Leiter an jenem Abend gesessen hätte; solchen Kadavern geht man ja aus dem Wege, so weit man kann." Generaloberst Graf Waldersee, welcher damals in der Dunkelheit des Abends den Sitz für den König mit hergerichtet hatte, bestätigte mir später die Richtigkeit dieser Thatsache, und Generalfeldmarschall Graf Moltke protestierte energisch gegen die ihm untergelegte Aeußerung: „Ew. Majestät, wir haben gesiegt." Der Feldmarschall selbst erzählte mir: „Einen solchen Unsinn habe ich nicht gesagt, sondern einfach gemeldet: Das 2te (pommersche) Armeecorps ist jetzt endlich eingetroffen." Wie eingehend der Kaiser arbeitete, wie sein Auge überall war, beweist ein kleiner Vorfall aus dem Jahre 1878. Ich hatte als Generalkommissar die Einrichtung der deutschen Kunstabteilung auf der Pariser Weltausstellung zu leiten, und der Kaiser ließ sich die Listen mit den Namen der Aussteller und ihrer Werke zur Prüfung einreichen und kontrollierte sie sorgfältig. Eines Tages erhielt ich die Aufforderung, darüber zu berichten, ob die Maler Crola und Burnier in Düsseldorf auch wirklich Deutsche seien. Des Kaisers feines Taktgefühl sträubte sich dagegen, daß bei dieser Gelegenheit in Paris etwa Künstler mit ausstellen könnten, welche, wenngleich in Deutschland ansässig, doch nicht wirklich Deutsche waren. Daß der Kaiser übrigens die Gesamtkosten dieser deutschen Kunstabteilung aus seinen Mitteln bestritt, trotzdem es sich um eine Reichsangelegenheit handelte, ist wohl bis heute nicht bekannt geworden. Als der Kaiser nach seiner Genesung von den Wunden des Nobilingschen Attentates eine Deputation des Senates der Akademie am 9. Dezember 1878 empfing, welcher ich an gehörte, sprach er in eingehendster und anmutigster Weise seine Freude und seine Genugthuung über den Erfolg aus, welchen die deutsche Kunstabteilung in Paris gehabt hatte. Bei historischen Bildern ging dem Kaiser die historische Wahrheit und Nichtigkeit des dargestellten Vorganges trotz aller Konzessionen, welche er dem Künstler sonst zu machen geneigt war, über alles. Ein Beispiel dafür ist ein Vorgang, bei welchem ich zugegen war, als der Kaiser im November 1882 die ersten, bis dahin fertig gestellten Wandgemälde in der Ruhmeshalle besichtigte. Sein besonderes Interesse erregte Professor G. Bleibtreus Wandgemälde, welches die nationale Erhebung von 1813 verherrlicht. Der Künstler hatte den Moment der Truppenrevue bei Breslau gewählt, in welchem König Friedrich Wilhelm III., begleitet von Blücher, in der Mitte seines Volkes und der ihn jubelnd begrüßenden Freiwilligen erscheint, und er hatte in künstlerischer Zusammenfassung der großen Bewegung jener Tage auch die volkstümlichsten Männer der selben, wie Theodor Körner, Jahn und Friesen, auf dem Bilde angebracht, obgleich vielleicht nicht alle gerade bei dieser Revue zugegen gewesen waren. Nach aufmerksamer Betrachtung des Gemäldes wandte sich der Kaiser an den Kriegsminister von Kameke mit der überraschenden Frage: „Wo ist denn der Kaiser von Rußland?" Der Kriegsminister beantwortete die Frage dahin, daß der Künstler, um die volkstümliche Gestalt Blüchers anbringen zu können, den Moment gewählt habe, als der Kaiser von Rußland das Revuefeld bereits verlassen halte. Darauf erwiederte der Kaiser: „Das ist nicht richtig. Ich erinnere mich ganz genau, daß ich mit dem hochseligen König und dem Kaiser von Rußland zusammen damals nach Breslau zurückgeritten bin, und Blücher war überhaupt gar nicht dabei. Wir verdanken dem Kaiser Alexander so viel, daß er jedenfalls bei dieser Gelegenheit dargestellt werden muß. Veranlassen Sie den Künstler, daß er an Stelle Blüchers den Kaiser von Rußland malt!" Mich überlief bei diesen Worten ein Schauer der Ehrfurcht bei dem Gedanken, daß der Mann, welcher sich dieses geringfügigen Vorganges aus seinem reichbewegten Leben noch nach 70 Jahren genau erinnerte und ihn mit weiteren Details schilderte, da leibhaftig in vollster körperlicher und geistiger Frische und doch schon als historische Persönlichkeit vor mir stand. Der Kriegsminister versuchte, Blücher zu retten, und wies darauf hin, daß eine solche eingreifende Aenderung möglicherweise das Abschlagen des Kalkputzes und die Herstellung eines neuen Malgrundes zur Folge haben könnte. Der Kaiser erwiederte lächelnd: „Vorläufig kann aus Blücher ja mal erst der Kaiser von Rußland gemacht werden. Wenn die Farbe sich dann nicht als haltbar erweist, so kann der Wandputz ja immer noch runtergeschlagen werden!" — Nur eines Falles erinnere ich mich, in welchem der Kaiser von seiner strengen Auffassung in Bezug auf historische Treue und Richtigkeit abgewichen ist. Das war, als ich die kleine Wiederholung der Kaiserproklamation, wie sie sich als Wandbild im Zeughaus befindet, im Allerhöchsten Aufträge malte. Das Bild war als Geschenk des Kaisers und der Prinzen des Königshauses für den Fürsten Bismarck zu dessen 70. Geburtstag im Jahre 1885 bestimmt, und der Kaiser hatte befohlen, daß auf demselben der Generalfeldmarschall Graf Roon angebracht würde, obgleich derselbe der Feierlichkeit am 18. Januar 1871 in der Spiegelgalerie des Versailler Königschlosses persönlich nicht beigewohnt hatte. Der Beweggrund für diese Abweichung von der sonst vom Kaiser bevorzugten chronistischen Richtigkeit war zweifellos die Hochschätzung des Mannes, an welchen er sich in der denkwürdigen Ansprache am Abend nach der Schlacht von Sedan in erster Reihe mit den Worten wandte: „Sie. Kriegsminister von Roon haben unser Schwert geschärft; Sie, General von Moltke, haben es geleitet, und Sie, Graf Bismarck haben seit Jahren durch die Leitung der Politik Preußen auf seinen jetzigen Höhepunkt gebracht." Begreiflicherweise hatte der Kaiser ein besonderes Interesse für militärische Darstellungen und schätzte hier die einfache historische Nichtigkeit unter Beiseitelassen aller Pose und Phrase am meisten. Ich hatte Gelegenheit, dies zu beobachten, als der hohe Herr das Sedan-Panorama am Eröffnungstage, am 2. September 1883, und zu Pfingsten 1884 mit seinem Besuche beehrte. Vor allem fand die Richtigkeit in der Wieder- gäbe des gewählten Momentes der Schlacht und des Schlachtfeldes seinen Beifall. Er verfolgte im lebhaften Gespräch mit Generalfeldmarschall Graf Moltke auf dem Bilde den Weg, welchen er nach der Schlacht zur Besichtigung der Stellungen und zur Begrüßung der Truppen geritten war, und wurde in der Erinnerung an jene Tage so warm und mitteilsam, daß er mir außerordentlich lebendig und drastisch, seine Erzählung durch Gesten illustrierend, den Moment schilderte, als General Reille den bekannten Brief Napoleons übergab. Diese Schilderung der Szene hat mir zur Grundlage für das Diorama-Bild gedient, welches ich unmittelbar darauf malte. Die herzgewinnende Freundlichkeit des Kaisers und eine gewisse anmutsvolle Verbindlichkeit in seiner Art zu sprechen und in seinen Handbewegungen hatte etwas geradezu Bezauberndes. Im Jahre 1880 hatte ich die Ehre, gleichzeitig mit den Professoren Reinhold Begas und Johannes Schilling einige Vormittage Porträtstudien Sr. Majestät machen zu dürfen, und es ist mir der Augenblick unvergeßlich, wie der Kaiser ins Zimmer trat und mit unnachahmlicher Grazie uns lächelnd mit den Worten begrüßte: „Ah, meine Herren, eine ganze Akademie will sich mit meiner armen Person beschäftigen." Es dürfte noch in frischer Erinnerung sein, wie der Kaiser gelegentlich der Eröffnung der akademischen Jubiläumsausstellung im Jahre 1886 auf die Ansprache des Kronprinzen in improvisierter Rede antwortete und darauf hinwies, wie auch bei dieser Gelegenheit das hellleuchtende Bild seines großen Ahnherrn Friedrich uns entgegen träte, der mit offenem Auge und hellem Blick stets erkannt habe, was zum Wohle des Vaterlandes frommte. „Alles, was wir Großes und Gutes heute in unserm Lande bewundern," sagte er, „ist auf dem Fundamente aufgebaut, das er gelegt hat; überall, wo er seine Hand anlegte, entstand ein Werk, das den Dank der Nachwelt verdient." Mit denselben Worten, meine Herren, feiern wir heute Kaiser Wilhelms des Großen Gedächtnis, und was er von seinem großen Ahnherrn damals sagte, paßt im vollsten Um fange auf ihn selbst. — Das Jahr 1887 führte mich zweimal in künstlerischen Angelegenheiten zum Kaiser, einmal im Juli wegen des Lessingdenkmals und später in Baden-Baden am 14. 15. und 16. Oktober. Ueber den Entwurf zum Lessing-Denkmal, welcher im Kaiserlichen Palais aufgestellt war, wünschte der Kaiser meine Erläuterungen (ich gehörte dem Denkmal-Komitee an), da er mancherlei Bedenken dagegen hatte, auf welche er auch in längerer Unterredung mit mir in Baden-Baden zurückkam. Vor allem wünschte er größere Einfachheit in der Ausschmückung des Postaments, an welchem in der Skizze statt der jetzigen beiden Brunnenbecken u. a. Kränze und Palmen in größerer Anzahl angebracht waren; außerdem lagerte ein Sphinx ans den Postamentstufen der Vorderseite. Der Kaiser machte dazu die Bemerkung: „Das ist überladen. Ein Lorbeerkranz für den Dichter ist genug, das wirkt vornehmer, als diese Menge. Und dann, was bedeutet die Sphinx auf den Stufen?" Ich suchte ihre Berechtigung als symbolische Darstellung des Welt oder Lebensrätsels zu deuten. Der Kaiser erwiderte darauf lächelnd: „Na, dann wird sie wohl auch für viele ein Rätsel bleiben, und es ist besser, sie bleibt fort." In einer anderen Unterhaltung in jenen Tagen äußerte der Kaiser, daß er aus der damaligen (1887) Berliner Kunstausstellung nichts Markantes gefunden habe. Ich erlaubte mir, den hohen Herrn auf die damals ausgestellten Arbeiten der Berliner Bildhauerschule aufmerksam zu machen, besonders auf die Reiterstatuen Professor Siemerings für das Siegesdenkmal in Leipzig und auf des Kaisers eigene Statue von dem inzwischen verstorbenen Bildhauer Bärwald, deren er sich auch genau erinnerte. Mit großer Lebhaftigkeit ging er auf dies Thema ein, und ich mußte ihm eine genaue Beschreibung des Leipziger Siegesdenkmals geben, so weit mir die einzelnen Teile bekannt waren. Meine schriftlichen Aufzeichnungen dieser Unterredungen zeigen mehrmals die Notiz: „Der Kaiser sehr eingehend," „große Aufmerksamkeit des Kaisers." Der damals 90jährige hohe Herr erging sich in seinen Betrachtungen auch über andere Werke der Skulptur, sprach mit besonderer Anerkennung von Schapers Goethedenkmal und kam auch zu einem Vergleich zwischen Rauchs Denkmal Friedrichs des Großen und Professor Siemerings Siegesdenkmal, wozu ihn zunächst der Umstand anregte, daß auf beiden Denkmälern am Postament 4 Reiterstatuen von Heerführern angebracht sind, die krönende Hauptfigur des Leipziger Siegesdenkmals aber die Germania ist. Eine Weile in Gedanken versunken, sagte er dann plötzlich sinnend — und es erschien mir, als ob inzwischen in seinem Geiste Vorstellungen über das Denkmal vorübergezogen wären, welches ihm selbst in der Reichshauptstadt einst errichtet werden würde: „Ja, ja, mit dem großen König war das anders, der war die Seele von allem und überall die Hauptperson, da ist das ganz richtig, wenn alle seine Leute unten am Postament angebracht sind." Es dürfte vermessen oder ungehörig erscheinen, Gedanken, welche nicht ausgesprochen sind, zu deuten, aber ich glaube nicht zu irren, wenn ich annehme, daß der Kaiser in diesem Augenblicke an sich selbst gedacht hat, in seiner rührenden Bescheidenheit aber und in seiner Verehrung für Friedrich den Großen seine eigene Bedeutung und seinen Einfluß auf seine Zeit, trotz der sichtbaren Erfolge seiner Lebensarbeit, unterschätzt hat. Er trat für seine Person ja stets gern zurück und schätzte sein Thun gering. Aber jedem seiner Mitarbeiter und Mitkämpfer wollte der Kaiser seinen wohlerworbenen Platz im Gedächtnis der Nachwelt sichern, und so hatte er schon 1875, als ihm ein Projekt für den Neubau eines Kunstausstellungs-Gebäudes auf dem Alsenplatz vorgelegt wurde, beim Empfange der Deputation der Akademie geäußert: „Diesen Platz habe ich allerdings für die Denkmäler der Generäle des letzten Krieges bestimmt, aber" — fügte er lächelnd hinzu, „ich werde für Ihr Projekt eine schlaflose Nacht opfern." Heute, meine Herren, haben wir das Denkmal des großen Helden und Kaisers, Meister Reinhold Begas' gewaltige Schöpfung, enthüllt, ein Denkmal, größer und mächtiger, als der hochselige Herr es je für sich erwartet hätte. Aber der Nachwelt gebührt das Recht des Urteilsspruches über historische Persönlichkeiten, und über Kaiser Wilhelm wird es lauten: Kein Denkmal für ihn ist groß und gewaltig genug, um der Größe seines Charakters und der Arbeit zu entsprechen, welche er für uns vollbracht hat. Keines kann so hinreißend schön und prächtig sein, um dem voll zu entsprechen, welches er sich im Herzen seines Volkes durch seine Tugenden selbst errichtet hat. Kaiser und König jeder Zoll an ihm, war er doch ein Mensch unter Menschen, und sein warmes Herz schlug für jeden seiner Mitbürger ohne Unterschied des Standes, des Ranges und der Konfession. Sein eisernes Pflichtgefühl war ohnegleichen, seine Anerkennung der Verdienste anderer aber und seine Dankbarkeit waren unbegrenzt. Haß, Neid, ja auch nur Verstimmung und Unfreundlichkeit hatten keinen Platz in seiner reinen Seele. Mehr noch als den Helden der Schlachten bewundern wir in ihm den Helden der Arbeit und des Fleißes, welcher auch im höchsten Alter nicht verschmähte zu lernen und zu studieren wie ein Jüngling, und welcher auf seinem Sterbelager noch das schöne Wort sprechen konnte: „Ich habe keine Zeit, müde zu sein!" So, in lichtvoller Erhabenheit, glänzend durch ihre Tugenden, wird die hehre Heldengestalt Kaiser Wilhelms des Großen im Gedächtnis der Nachwelt fortleben, und wenn es noch etwas giebt, was mir als das Größte an Ihm preisen wollten, so würde es das sein, daß er zu dem Beinamen „Der Große", welchen ihm die Nachwelt beilegte, mißbilligend, kopfschüttelnd gesagt haben würde, wenn es zu seinen Lebzeiten geschehen wäre: „Nein, nein, nicht mir, nur Gott die Ehre, ich war nur ein Werkzeug in seiner Hand."
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Zum Brief/Text
Kapitel / Artikel:
- Werner, Anton von Rede zur Gedächtnisfeier des 100. Geburtstages weiland Kaiser Wilhelms des Großen am 22. März 1897 in der Hochschule für die bildenden Künste, Teil 1 in Zillessen, Friedrich (Hrsg.) (Sa, 17.04.1897) Der Bär. Illustrierte Wochenschrift für vaterländische Geschichte, vorzüglich für die Geschichte der Hohenzollern, der Kaiserstadt Berlin, der Mark Brandenburg und der angrenzenden Gebiete.. Illustrierte Wochenschrift für vaterländische Geschichte Jg. 23 Nr. 16. Berlin: Verlag von Fr. Zillessen, S. 186-188
- Werner, Anton von Rede zur Gedächtnisfeier des 100. Geburtstages weiland Kaiser Wilhelms des Großen am 22. März 1897 in der Hochschule für die bildenden Künste, Teil 2 in Zillessen, Friedrich (Hrsg.) (Sa, 24.04.1897) Der Bär. Illustrierte Wochenschrift für vaterländische Geschichte, vorzüglich für die Geschichte der Hohenzollern, der Kaiserstadt Berlin, der Mark Brandenburg und der angrenzenden Gebiete.. Illustrierte Wochenschrift für vaterländische Geschichte Jg. 23 Nr. 17. Berlin: Verlag von Fr. Zillessen, S. 195-198
Anlage
17.02.2025
Letzte Änderung
22.02.2025