Anton von Werner an Joseph Victor von Scheffel (So, 27.09.1863)
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Informationen
Personen
- Sender: Anton von Werner (Di, 09.05.1843 - Mo, 04.01.1915) - 20 Jahre, Wartburg
- Empfänger: Joseph Victor von Scheffel (Do, 16.02.1826 - Fr, 09.04.1886) - 37 Jahre, Thalham (Weyarn)














Typ
Brief
Datum
Kategorie
Privat
Medium
Handschriftlich
Zusammenfassung
Er berichtet über seine Studientage im Kloster Michaelstein und auf der Wartburg.
Abschrift
Herrn Dr. J. V. Scheffel
Prinzenau
bei Miesbach in Oberbayern,
Eisenbahnstation Thalham
Wartburg, den 27. September 1863.
Liebster, bester Freund!
Seit vier oder fünf Tagen sitze ich hier auf dem Kapitäl Deutschlands - wie es ein Redner beim Feste nannte - dank Ihren freundlichen Empfehlungen, die Gastfreundschaft des wackeren Herrn v. Arnswald genießend. Er selbst muß gerade jetzt selber sehr aushalten: eine heftige Augenentzündung bannt ihn seit vierzehn Tagen in das Zimmer, hoffentlich ist damit aber die größte, längste Schmerzenszeit vorüber.
Ihren lakonischen Brief vom 4. September habe ich in Blankenburg empfangen; ich war bis heute vor acht Tagen in Kloster Michaelstein bei Blankenburg, wo ich indessen bei fortwährend schlechtem Wetter nicht allzuviel Studien habe machen können. Seit Mittwoch bin ich hier auf der Wartburg und male Rüstungen, Krüge, Kannen, Interieurs u. a., von denen Sie namentlich eine Ansicht des Wohnzimmers des Kommandanten interessieren wird.
Herr v. Arnswald ist ein vortrefflicher Mann - ich wünsche nur, ich könnte länger genießen! Aber die Zeit eilt unaufhaltsam vorwärts, und so muß denn ich auch eilen, aus dem Schlendrian der Reise heraus wieder an Arbeit, an tüchtiges, ununterbrochenes Schaffen zu kommen. Uebermorgen denke ich bereits auf dem Wege nach Karlsruhe zu sein.
Oh, wie lebhaft freue ich mich auf den Augenblick des Wiedersehens mit Ihnen, verehrter Freund! Sie werden mein Atelier jetzt mit einigen Studien mehr ausstaffiert sehen als im Frühjahr, als wir voneinander schieden. In fünf bis sechs Wochen, hoffe ich, ist der ersehnte Augenblick gekommen. In Ihren Bergen wird es jetzt wohl nach und nach auch kalt, neblig und stürmisch, und Sie denken gewiß schon mit Schrecken wieder an die Winter- quartiere.
Ja ja, es ist etwas Herrliches um das Schaffen in Gottes freier, hehrer Natur, um das Schöpfen aus den unerschöpflichen Quellen der lezteren. Mir hat die Reise so viele Motive geliefert, daß ich fürchte, ich werde diesen Winter auch etwas in Landschaft sündigen, um einiges von dem Material zu verarbeiten, das ich gesammelt.
Hier auf der Wartburg könnte ich monatelang sitzen und in der Rüstkammer herumkramen und in allen Ecken sitzen, an jeden Strauch klopfen und überall würden mir goldene Aepfel in den Schoß resp. Malkasten fallen.
Doch ich schließe. Leben Sie wohl, teurer Freund und lassen Sie nicht zu lange auf die Freude des Wiedersehens warten
Ihren aufrichtigen, treuen
Anton v. Werner.
Vollständig
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