1897: Anton von Werner - Über den Sinn des Zeichnen nach Gips
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Herr Bildhauer Johannes Gaulke (Berlin) schreibt: „Im großen Ganzen führt das Zeichnen nach Gyps nur zu einer conventionellen schablonenhaften Darstellung der Figur, wie bei A. von Werner." Ich wage es nicht, meine künstlerische Autorität der des Herrn Gaulke gegenüberzustellen, dessen mir bis jetzt leider unbekannte Werke sicher keine der Mängel aufweisen werden, welche aus dem zu vielen Studium nach Gyps herrühren. Was mich betrifft, so befindet er sich aber insofern im Irrthum, als die von ihm gerügten Fehler meiner künstlerischen Arbeiten sicher nicht davon herrühren, daß ich zu viel nach Gyps gezeichnet habe, sondern vermuthlich eher daher, daß ich zu wenig darnach gezeichnet habe. Denn ich habe leider auch, wie so viele meiner Kunstgenossen, während meiner akademischen Studienzeit mich im harten Kampfe um's Dasein befunden und dem künstlerischen Studium nicht so viel Zeit für das Zeichnen nach Gyps widmen können, wie ich gern gewollt hätte und welche nöthig gewesen wäre, um mich in die Schönheiten der Antike einzuführen. Ich habe durch fleißiges Studium nach der Natur später Manches nachzuholen versucht und habe in Paris z. B. täglich 10 Stunden Modell gehabt, was Tag für Tag 10 Francs kostete für einen jungen, auf seine eigenen Kräfte angewiesenen Künstler eine ganz respectable Leistung - habe auch, wie bis heute noch, die Abendstunden benutzt, um nach den verpönten Gypsmodellen zuweilen Köpfe, Hände u. dergl. zur Erkenntniß ihrer Form, Verkürzungen u. dergl. zu studiren leider Alles, wie aus Herrn Gaulke's Urtheil hervorgeht, ohne Erfolg. Herr Gaulke macht freundlicher Weise auch darauf aufmerksam, daß die Gypsmodelle nicht immer tadellos in der Ausführung sind und sogar manch' anatomischer Schnitzer mit in den Kauf genommen werden muß." Das muß er als Bildhauer ja wissen. Ich kann ihn aber versichern, daß ich bei den Abformungen über die Natur, Gesicht, Brust- und Rückentheile, Arme, Hände und Beine, nach welchen bei uns auf der Akademie gezeichnet oder modellirt wird, außer selbstverständlich nach der Natur, noch keine anatomischen Schnitzer wahrgenommen habe, eben so wenig wie z. B. bei R. Begas' Mercur, seiner Susanna oder an Herter's sterbendem Achilles. Vielleicht sezt sich Herr Gaulke mit diesen seinen Herren Collegen über die fraglichen anatomischen Schnitzer auseinander, da meine Kenntniß der Anatomie nicht ausreichend dafür zu sein scheint.
Zusammenfassung
Eine längere ironische Antwort auf die Empfehlung, nicht nach Gips zu zeichnen
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Kurze Beschreibung mit Bewertung:
- 🔗 Werner, Anton von Die Gypsfrage und andere Kunstfragen in 🔗Zolling, Theophil (Hrsg.) (Sa, 10.04.1897) Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben. Bd. 51 Nr. 15. Berlin: Verlag der Gegenwart, S. 229-230🔗Externe Seite ⬈
Anlage
11.05.2025
Letzte Änderung
14.05.2025